Die «St. Helena» wurde 1990 in Schottland als Versorgungsschiff gebaut: Für Fracht und Passagiere für die im Südatlantik gelegene Insel St. Helena. Nachdem im Herbst 2017 auf St. Helena ein Flughafen eröffnet wurde, wurde sie Anfang 2018 ausser Dienst gestellt. Nach einem Intermezzo als Basisschiff für eine Sicherheitsfirma im Roten Meer, die zusätzliches Wachpersonal auf Frachtschiffe schickte, um diese vor den zu jener Zeit häufigen Piratenüberfällen zu schützen, nahm die elektrische Rallye-Serie «Extreme E» die «St. Helena» unter Vertrag. Seit 2021 wird das Schiff nun an den Veranstaltungsorten als Hauptquartier genutzt. Sie dient Fahrern, Technikern, Sponsoren und Gästen als Unterkunft und Eventschiff für verschiedene Hospitality-Anlässe. Nachdem sie alle wieder abgereist sind, nimmt die «St. Helena» ihre zweite Funktion wahr: Sie transportiert die Infrastruktur der Rennserie von einem Veranstaltungsort zum anderen.
Die Tage auf See verlaufen so, wie sie auf jedem Frachtschiff ablaufen: Frühstück, Mittagessen und Abendessen sind die einzigen Fixpunkte des Tages. Das Schiff fährt oft lange Strecken auf See; man muss sich also genau überlegen, wie man die Zeiten zwischen den Mahlzeiten füllen möchte. Natürlich gibt es den Schwatz auf der Kommandobrücke mit dem wachhabenden Offizier oder einen kurzen Austausch mit einem anderen Besatzungsmitglied, was aber nicht tagfüllend ist. Mein Tipp: Nehmen Sie lieber zu viele Projekte mit an Bord als zu wenige. Wenn Sie am Schluss nicht alles davon gemacht haben, umso besser.
Ankunft
Unsere geplante Ankunft in Gibraltar wird nicht ganz so funktionieren, wie ursprünglich angedacht. Zahlmeisterin Alina erklärt uns, dass wir im nahegelegenen spanischen Hafen Algeciras am 5. frühmorgens ankommen. In Algeciras kommt ein neuer Passagier an Bord. Und wir können den Shuttle nehmen, der den neuen Passagier an Bord bringt. Für mich passt der neue Ankunftsort perfekt. Denn ich reise mit dem Zug zurück in die Schweiz. Algeciras hat – im Gegensatz zu Gibraltar – einen Bahnhof.
Später heisst es aber, dass wir Algeciras am 3. am frühen Nachmittag erreichen und am 4. nach dem Frühstück ausschiffen (perfekt, das reicht locker, um bis nach Barcelona zu kommen!). Aber noch sind wir nicht dort. Gerade fahren wir zwischen Sizilien und Malta durch. Trotz schönstem Wetter sehen wir die Inseln aber nicht.
Schöner Abschluss
Das erste Land, das wir nach Port Said wieder sehen, ist die vor der tunesischen Küste liegende Insel La Galite. Einige Tage später ist auf unserer Backbordseite während eines ganzen Tages die gebirgige Küste von West-Algerien zu erkennen. Am letzten Tag fahren wir entlang der südspanischen Küste, staunen über dessen schneebedeckte Berge, sehen durch das Fernglas die Küstenorte Málaga und Marbella und erblicken kurz vor dem Ziel Delfine, die entspannt den Kurs unseres Schiffes kreuzen. Was für ein schöner Abschluss dieser Frachtschiffreise.
Das Essen und Trinken an Bord
Einen Wandel Richtung Moderne, im Vergleich zu den RMS-Zeiten, fand auch im Speisesaal statt. Vor allem am Abend, wenn der Tisch für die Passagiere weiss gedeckt ist und die Vorhänge gezogen sind, sieht das ganze edel aus. Es ist das erste Mal, dass ich auf einem Frachtschiff mit Silberbesteck esse. Trotz der Grösse des Raumes fühlen wir zwei uns nicht verloren, denn die Offiziere und die Crew essen in ihren eigenen Speiseräumen. Sollte sich nur ein Passagier an Bord befinden, kann das unter Umständen komisch wirken. Es ist zu vergleichen mit früher. Auf den Containerschiffen, unter französischer Flagge der Reederei CMA CGM, wurde ein einzelner Passagier immer an den Passagiertisch gesetzt, der Kapitän und die Offiziere dinierten in einigen Metern Entfernung.
Ähnlich wie auf den französisch geführten Containerschiffen können wir auf Wunsch zum Mittagessen und Abendessen Wein trinken. Einige Personen im Team, die uns bedienen, sind sogenannte Trainees, also neu im Bedienen von Gästen. Entsprechend sind wir Teil des Trainings. Einmal schenkt mir ein Trainee so grosszügig Rotwein nach, dass mein Glas WIRKLICH gut gefüllt ist (zu 90 Prozent voll). Der Grund: Der Trainee hat gesehen, dass nur noch wenig Rotwein in der Flasche übrig gewesen ist und hat diesen Rest einfach nachgeschenkt. Ich nehme es mit Humor, denn ausnahmslos alle, die uns bedienen, sind äusserst freundlich, herzlich und zuvorkommend. Und nicht vergessen: Wir sind auf einem Frachtschiff und nicht auf einem 5-Sterne-Kreuzfahrtschiff unterwegs.
Die Mahlzeiten sind grösstenteils sehr gut und vielseitiger, als man es auf einem Frachtschiff erwarten würde. Zum Mittagessen und Abendessen stehen jeweils zwei Vorspeisen (einmal Salat, einmal Suppe), zwei Hauptgänge mit zwei Beilagen und drei verschiedene Desserts (Glace, Käse, Früchte und zwischendurch Tortenstücke) zur Auswahl. Plus vier Standardmenüs, die man immer bestellen kann, sofern man nichts im Tagesmenü findet.
Wir erreichen Gibraltar mit einigen Stunden Verspätung, da die Ausläufer eines Sturmtiefs im Golf von Lyon das Schiff etwas ausgebremst haben. Aber alles im grünen Bereich. Ich buche den Zug nach Madrid (15:03 Uhr Abfahrt), das Hotel in Madrid und die folgenden Zugfahrten ab Madrid nach Basel (wussten Sie, dass diese Reise in nicht viel mehr als 12 Stunden möglich ist?).
In der Zwischenzeit doch etwas misstrauisch geworden was Änderungen betrifft, buche ich Bahnbillette, die umbuchbar sind. Der neue Passagier sollte um 11 Uhr in Gibraltar landen. Wenn der Flug pünktlich ist, sollte er spätestens um 13 Uhr an Bord sein. Alina, die Zahlmeisterin, rechnet auf jeden Fall damit, dass wir um 13 Uhr mit dem Shuttle von der auf der Reede liegenden (vor Anker liegenden) «St. Helena» an Land gebracht werden.
Kommt der Shuttle oder kommt er nicht?
Um 12:30 Uhr taucht tatsächlich ein Boot auf, das zuerst zu einem in der Nähe liegenden Massengutschiff fährt, wo anscheinend bestelltes Material geliefert werden muss. Statt anschliessend auf dem Rückweg bei uns zu halten, fährt der Shuttle ungerührt an uns vorbei wieder in Richtung Hafen. 13 Uhr: kein Shuttle in Sicht, 13:15 Uhr: kein Shuttle in Sicht, 13:30 Uhr: kein Shuttle in Sicht, 13:45 Uhr: Da kommt er wieder und mit ihm die Hoffnung, dass doch noch alles gut kommt. Auch die seit fast einer Stunde bereitstehenden Seeleute, die uns beim Ausschiffen behilflich sein sollen, drücken ihre Zigaretten aus und machen sich bereit.
Kurz nach 14 Uhr bin ich und die ebenfalls ausschiffende Mitpassagierin an Bord des Shuttles und wir holpern über die aufgewühlten Wasser der Bucht in Richtung Hafen, wo wir kurz vor 14:30 Uhr an Land gehen und vom Agenten begrüsst werden. Er bringt uns zur Immigration und mich dann noch zum Bahnhof.
Die Fahrt zur Immigration ist kurz. Trotzdem steigt die Nervosität bei mir, als der freundliche Beamte am Schalter die Daten meines Reisepasses zum dritten Mal versucht ins System einzugeben, das offensichtlich nicht so funktioniert, wie es sollte. Nach einer kurzen Diskussion einigen sich der Beamte und der Agent darauf, dass wir einreisen dürfen und er in einer Stunde wieder vorbeikommen soll, um die Formalitäten abzuschliessen.
Pünktlich
Um 14:45 Uhr geht es wieder ins Auto und Richtung Bahnhof. Dass Rotlichter immer dann so lange rot sein müssen, wenn man es eh schon eilig hat ... Zehn Minuten vor Abfahrt des Zuges hält der Agent vor dem Bahnhof von Algeciras. Eine hastige Verabschiedung und ab in Richtung Perron, denn der 15:03 Uhr-Zug ist der letzte Zug nach Madrid für heute.
Einmal abgefahren, gönne ich mir die Packung Erdnüsse und die Fanta, die ich vom Schiff mitgenommen habe. Die Rückreise in die Schweiz kann beginnen – übrigens, inklusive meinem Taschenmesser und meiner Spiegelreflexkamera, die mir der Agent in Suez nach den Behördenkontrollen unaufgefordert wieder zurückgegeben hat.
Das einzige Mysterium, das bleibt, ist, was aus dem Seekarten-Paket geworden ist, das ich für den Agenten in meinem Gepäck hätte mitnehmen sollen.
Schiffsbeschreibung und geplante Reisen
Die Reisen der «St. Helena» sowie die detaillierte Schiffsbeschreibung finden Sie hier.